Meine Kollegin Chantal ist jetzt Indoor Farmerin. Kürzlich hat sie ihr Anbaugebiet in Betrieb genommen. Es ist nicht mal einen halben Quadratmeter groß, steht auf dem Fensterbrett in unserem Büro und kommt aus Schweden. Wenn ihr Plan aufgeht, wird sie in wenigen Wochen ihren eigenen Salat ernten. Alle Kollegen hoffen natürlich darauf und suchen schon mal nach den besten Dressingrezepten.
Indoor Farming ist ein Anbautrend, der in den letzten Jahren die Welt erobert hat. Wenn man so will, ist er die Weiterentwicklung von Urban Farming. Denn für beide Anbauformen lautet die Devise: Den wenigen Platz ausnutzen, den man hat. Das sind beim Urban Farming Balkone, Hinterhofgärten und Dachterrassen. Beim Indoor Gardening für den Hausgebrauch sind es Fensterbänke, Wohnzimmernischen oder ungenutzte Kellerräume. Zuerst wanderten die Gemüsebeete vom Land in die Stadt – und jetzt sogar in die eigenen vier Wände.
Doch was inzwischen in vielen Privathaushalten praktiziert wird, ist eigentlich für einen viel größeren Maßstab gedacht. Indoor Farming, so hoffen seine Fans, wird nicht nur helfen, eine stetig wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, sondern auch den CO2-Ausstoß stark reduzieren.
Weniger Anbaufläche – mehr Ertrag
Indoor Farming geht oft Hand in Hand mit Vertical Farming. Im Gegensatz zum herkömmlichen Anbau auf Feldern im Freien werden dabei mehrere Ebenen übereinander bepflanzt. Der Vorteil: Mehr Ertrag auf weniger Grundfläche. So wachsen in der japanischen Mirai-Indoor-Farm auf der Fläche eines halben Fußballfelds etwa 10.000 Salatköpfe pro Tag. Das ist die 100-fache Ausbeute wie beim herkömmlichen Anbau.
Zum einen scheint diese Idee sehr zukunftsträchtig, weil die Weltbevölkerung stark wächst. Im Jahr 2050 sollen 9 Milliarden Menschen die Erde bevölkern und die wollen ernährt werden. Vor allem in Ländern mit Platzmangel ist Indoor Farming bereits jetzt sehr beliebt. Deshalb steht auch ein Großteil der Indoor-Gewächshäuser im überfüllten Japan.
Doch Indoor Farming ist nicht nur etwas für Platzsparer oder Hobbygärtner ohne Garten wie unsere Chantal. Sondern auch für Kontrollfreaks. Sie haben hier die Möglichkeit, die Anbaubedingungen bis ins kleinste Detail nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten und zu überwachen. Während Sonne und Regen im Freien nicht zu kontrollieren sind, unterliegen in geschlossenen Räumen Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Licht der Kontrolle des Farmers. Dadurch lassen sich nicht nur der Ertrag maximieren und Fehlernten vermeiden. In manchen Ländern ist es die einzige Möglichkeit überhaupt, Lebensmittel anzubauen. Der japanische Konzern Sharp baute beispielsweise eine Indoor-Farm für Erdbeeren im Wüsten-Emirat Dubai.
Nicht nur der Standort ist beim Indoor Farming relativ egal, sondern auch der Zeitpunkt. Da die Gegebenheiten an die Pflanzen angepasst werden, lässt sich öfter Ernten. Beim Salat zum Beispiel bis zu vier Mal häufiger.
Eine Hoffnung: Umweltschutz durch Indoor Farming
Der Vorteil, dass sich Gemüse und Kräuter auch dort anbauen lassen, wo die natürlichen Bedingungen das eigentlich verhindern, könnte auch dem Planeten zu Gute kommen. Denn wenn die Lebensmittel direkt dort angebaut werden, wo auch die Verbraucher sitzen, entfallen lange Transportstrecken. Das kommt der globalen Entwicklung entgegen. Denn seit 2008 wohnen weltweit mehr Menschen in Städten und nicht auf dem Land, wo Lebensmittel in der Regel angebaut werden.
Natürlich sticht dieses Argument nur dann, wenn Indoor Farmen mit regenerativer Energie betrieben werden und nicht mit Strom aus Braunkohlekraftwerken. Unsere Chantal spart sich auf jeden Fall schon mal die Fahrt zum Gemüsehändler und die Verpackung. Das ist doch auch schon mal was.
Eine weitere Hoffnung, die sowohl Chantal als auch Indoor Farmer im großen Stil antreibt: Der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel. Dass Chantal darauf verzichtet, versteht sich von selbst. Aber für Großproduktionen ist das ein merklicher Unterschied zum herkömmlichen Anbau. Die Theorie lautet: Weil Indoor Farmen geschlossene Systeme sind, kommt das Ungeziefer erst gar nicht hinein und muss nicht mit Pestiziden bekämpft werden.
Keine Erde, keine Sonne
Chantals kleine Indoor Farm unterscheidet sich in einer Hinsicht merklich von den großen Anlagen: Ihre Setzlinge bekommen eine ordentliche Portion Tageslicht. Industrielle Farmen versorgen ihre Pflanzen hingegen ausschließlich mit LED-Licht. Das lässt sich genau dosieren, bis zu dem Punkt, wo die Länge von Tages- und Nachtzeit manipuliert wird. Auch das führt am Ende zu höheren Erträgen.
Auf Erde wird beim Indoor Farming in der Regel verzichtet. Hier wachsen die Pflanzen in Hydrokultur. Das heißt, sie stecken in einem anorganischen Substrat, das ihnen Halt gibt oder werden gar aufgehängt. Flüssigkeit und Nährstoffe nehmen sie direkt über spezielle Nährlösungen auf, deren Menge auf sie abgestimmt ist. In großen Anlagen steckt dahinter viel Technik, bei Chantal gibt es einen einfachen Wasserstandsanzeiger der darauf hinweist, wann wieder gegossen werden muss. Die meisten kennen das von Zimmerpflanzen. Über- oder unterwässern ist so kaum möglich. Es sei denn, man legt es wirklich darauf an.
Was lässt sich indoor anbauen?
Indoor Farming hat längst die Privathaushalt erreicht. Endlich kann man auch ohne Garten oder Grünflächen eigenes Gemüse ziehen. Handwerklich begabte Menschen zimmern sich ihre eigenen Farmen zusammen – für alle anderen gibt es auf dem Markt zahlreiche Komplettsysteme zu kaufen (mehr davon in Chantals Artikel).
Prinzipiell lässt sich darin das Gleiche anbauen, was auch im Freien wächst. Schließlich können die Bedingungen bis zur exakten Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit angepasst werden. Zugegeben: Der private Hobbygärtner kann das – im Gegensatz zur Industrie – sicher nicht für jede Pflanze leisten. Salate und Kräuter sollten jedoch kein Problem sein. Das dachte sich auch Chantal und hat sich für eine leckere Auswahl davon entschieden. Was dabei herausgekommen ist, kannst du ab nächster Woche (2.6.2017) in ihrem mehrteiligen Selbstversuch lesen. Sie begleitet dich durch alle Schritte beim Indoor Farming mit Hydrokultur vom Aufbauen des „Beets“ über die Anzucht der Setzlinge bis zur Ernte.
Fotos: General Electric, Philips CityFarm