Vor 10 Jahren hat Ina Tenhündfeld ihre Liebe zu Wildkräutern entdeckt - eine Faszination, die sie seither nicht mehr loslässt. Um ihre Begeisterung weiterzugeben, ließ sie sich zur „Allgäuer Wildkräuterführerin“ ausbilden und zeigt seither allen Interessierten, wo man Kräuter findet und was man Tolles aus ihnen zubereiten kann.
Im Interview verrät sie uns, warum sie ohne Kräuter nicht mehr kann und worauf man als Neuling beim Sammeln achten sollte.
Tipp: Falls du die Faszination Wildkräuter aus nächster Nähe erleben willst, findest du auf Inas Webseite viele Informationen zu Wildkräuterkursen im schönen Allgäu.
Die Fotos im Artikel wurden von Jörg Tenhündfeld zur Verfügung gestellt (mit Ausnahme der Trollblume).
Liebe Ina, was fasziniert dich an Wildkräutern?
Ina Tenhündfeld: Ich fühle mich durch sie sehr mit der Natur verbunden. Wenn man sich mit Wildpflanzen und -kräutern beschäftigt, sie sammelt und verarbeitet, geht man im wahrsten Sinne mit den Jahreszeiten und erlebt diese sehr bewusst. Das entschleunigt und erdet, wie ich finde. Es ist einfach toll, dass uns die Schätze der Natur oft vor der Haustür oder in direkter Umgebung bereit stehen und wir nur zugreifen müssen. Für mich ist es ein großes Geschenk zu wissen, was ich wo finde und wie ich daraus etwas zubereiten kann, dass meiner Familie und mir guttut. In den Kräutern steckt so viel Kraft und es ist immer wieder faszinierend, wenn sich ihre Wirkung zeigt. Inzwischen sind Wildkräuter für mich Liebe und Leidenschaft – ich kann gar nicht mehr ohne.
Hast du ein Lieblingskraut?
Bei dieser Vielfalt ... nein, nicht wirklich. Aber von Jahreszeit zu Jahreszeit und je nach eigenen Bedürfnissen sind es immer wieder andere Pflanzen, die mir dann besonders lieb sind und mich begleiten.
Muss ich zum Wildkräutersammeln in die Berge fahren?
Wenn du es mit einem schönen Ausflug verbinden kannst, ist das toll. Bergwiesen sind etwas ganz Besonderes! Dort wachsen mehr Kräuter und Wildpflanzen als „bei uns im Tal“. Manche davon findest du hier kaum oder gar nicht. Aber extra zum Sammeln in die Berge fahren, würde ich nicht. Dafür gibt es zu viele Pflanzen direkt vor unserer Haustür. Häufig sogar im eigenen Garten – wenn man nicht zu penibel ist und jedes vermeintliche „Unkraut“ entfernt. Viele meiner Kursteilnehmer sind überrascht, welche Schätze sich bei ihnen angesiedelt haben. Aber auch in nahegelegenen Wäldern, an Spazier- und Feldwegen, oder – woran die meisten gar nicht denken - auf brachliegenden Grundstücken wachsen die tollen Wildpflanzen. Man muss die Kräuter nur erkennen – und sollte dann beim Pflücken das ein oder andere beachten.
Artikeltipp: Eine Auswahl geeigneter Kräuter mit Beschreibungen und Zubereitungstipps findest du in „5 Wildkräuter, die direkt vor deiner Haustüre wachsen“.
Was denn zum Beispiel?
Im eigenen Interesse sollte man bestimmte Gebiete meiden. Manche Wege sind regelrechte „Pipi-Strecken“, wo sich die Hunde am Wegesrand erleichtern. Da sollte man seine Kräuter natürlich nicht pflücken. Ebenso wenig auf oder in der Nähe von Industriegebieten, stark befahrenen Straßen, gedüngten Wiesen, Viehweiden oder an Wildtierpfaden. Am besten sind unbewirtschaftete Flächen an denen die Pflanzen möglichst in Ruhe und ohne Verunreinigungen, Abgase, Chemie oder tierische Ausscheidungen wachsen können.
Bergwiesen sind etwas ganz besonderes, findet Wildkräuterführerin Ina Tenhündfeld. Aber Kräuter sammeln kann man auch "zuhause". Foto: Jörg Tenhündfeld
Wie erkenne ich denn eine gedüngte Wiese?
Gedüngte Wiesen lassen sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennen. Man sollte seine Sammelgebiete schon kennen und die Bewirtschaftung der Flächen vorher beobachten. Ein gutes Zeichen ist es, wenn auf den Wiesen eine große Vielfalt an Wildpflanzen und Kräutern wächst und nur sehr wenig bis überhaupt nicht gemäht wird.
Sonst noch etwas, auf das ich achten sollte?
Du solltest noch wissen, welche Pflanzen du überhaupt pflücken darfst, denn manche sind geschützt. Die Trollblume haben wir zum Beispiel in meiner Kindheit noch für Blumensträuße gepflückt, heute steht sie aber unter Naturschutz. Das Naturschutzgesetz schränkt auch die Menge ein, die du mitnehmen darfst. Grundsätzlich gilt: Pro Person nur eine Handstrauß-Menge und erlaubt ist das Sammeln nur für den privaten Hausgebrauch. Außerdem sollte jeder darauf achten, dass nur wirklich so viele Kräuter gesammelt werden, wie man tatsächlich benötigt bzw. verarbeiten kann. Und um den Fortbestand der Pflanzen zu sichern, ist es wichtig am Sammelplatz achtsam mit der Natur umzugehen und nichts mitsamt der Wurzel ausreißen.
Die Trollblume steht mittlerweile unter Naturschutz und darf nicht mehr gepflückt werden. Foto: Rosenzweig (CC BY-SA 3.0)
Das heißt: Am besten schneide ich die Kräuter ab, anstatt sie mit der Hand zu pflücken?
Das kommt auf die Pflanze an. Viele Pflanzen kann man mit der Hand pflücken, bei anderen tut man sich schwer. Die Schafgarbe hat zum Beispiel einen sehr festen Stängel. Wenn man sie mit der Hand pflückt, reißt man fast immer die Wurzel mit heraus. Deshalb habe ich eigentlich immer ein Keramikmesser dabei.
An welcher Stelle schneide ich die Pflanze am besten ab?
Das hängt davon ab, welchen Teil der Pflanze du ernten möchtest. Wenn beispielsweise nur die Blüten benötigt werden, pflücke ich auch nur diese vom Blütenstängel ab – alles andere bleibt stehen. Werden mehrere Teile der Pflanze benötigt (Blätter, Stiele, Blüten) dann pflücke oder schneide ich recht weit unten, also bodennah.
Wie schnell sollte ich gepflückte Kräuter verarbeiten?
Grundsätzlich ist es immer am besten, möglichst frisch geerntete Kräuter zu verwenden. Im Alltag ist das nicht immer möglich: Wer zum Beispiel morgens vor der Arbeit einen Kräuter-Smoothie mixen will, hat selten Zeit noch schnell in den Wald zu gehen. Für die Speisezubereitung ist meine Erfahrung, dass man die frisch gesammelten Kräuter, nachdem sie sortiert und gewaschen sind, ohne Probleme ein paar Tage aufbewahren kann. Ich gebe sie noch feucht vom Waschen in eine Schüssel mit Topfeinsatz und Deckel und stelle sie kühl und dunkel. Getrocknete Kräuter, zum Beispiel für Kräutersalze, sollten spätestens nach einem Jahr aufgebraucht sein.
Wann kann ich denn Kräuter sammeln?
Es gibt Kräuter, die sich bereits zeitig im Frühjahr zeigen. Manche beginnen ihr Wachstum sogar schon unter dem Schnee. Die Vogelmiere ist beispielsweise eine dieser frühen Pflanzen. Je nachdem, wie lang und streng der Winter war, kann man in der Regel ab März sein Glück versuchen. Gerade sehr junge und zarte Frühlingskräuter schmecken besonders fein. Ist das Wachstum aber weit fortgeschritten und das Kraut fest und faserig, ist es für die Speisezubereitung nicht mehr zu empfehlen.
Welche Ausrüstung sollte ich zum Kräutersammeln mitnehmen?
Am besten einen Korb oder auch eine Jutetasche. Hauptsache sie sind aus Naturmaterialien und luftdurchlässig. In Plastiktüten fangen die Kräuter zu „schwitzen“ an. Ich empfehle, die Kräuter direkt beim Sammeln zu sortieren, sonst muss man das mühevoll zuhause erledigen. Es sei denn, man verarbeitet sie anschließend alle zusammen z.B. zu einem Kräutertee oder Kräuterquark. Dann kann man sich das Sortieren sparen. Wichtig ist aber, dass wirklich nur saubere und „gesunde“ Pflanzen im Korb landen. Ein Bestimmungsbuch ist außerdem sehr hilfreich, vor allem für diejenigen, die noch nicht sicher beim Erkennen und Auseinanderhalten sind. Ich habe eigentlich immer eins dabei, falls mir mal ein unbekanntes Kraut begegnet.
Für Interessierte bietet Ina Tehündfeld Kurse zum Kräuter sammeln und kochen an. Foto: Jörg Tenhündfeld
Wie trockne ich Kräuter richtig?
Als erstes die Pflanzen kontrollieren. Sind sie sauber? Sind sie in gutem Zustand? Schlechte aussortieren! Braucht man nur die Blätter und nicht die Stiele, macht es Sinn sie vorher vorsichtig abzuzupfen Mein Rat: verschiedene Kräuter auf jeden Fall getrennt trocknen. Ich lege sie in kleine luftdurchlässige Körbchen aus Naturmaterialien, die ich nicht zu voll mache. Sonst kann sich zwischen den Kräutern Feuchtigkeit sammeln und sie fangen an zu schimmeln. Besonders Pflanzen mit vielen Schleimstoffen sind dafür anfällig. Die Körbe decke ich immer mit einem leichten Tuch ab, damit sie vor direktem Licht geschützt sind. Bei sehr kleinen Pflanzenteilen lege ich ein Tuch in die Körbe damit beim Wenden nichts durchrutscht. Das Beschriften ist empfehlenswert, denn im getrockneten Zustand sind die Kräuter oftmals nicht mehr wieder zu erkennen. Der Trocknungsraum muss keine besonderen Vorgaben erfüllen, muss also auch nicht besonders warm oder gar heiß sein, nur einigermaßen belüftet. Die Kräuter sollte man alle paar Tage mit der Hand wenden. Sie sind fertig wenn sie "raschel-trocken" sind.
Ist Kräuter sammeln für den Laien gefährlich – kann ich die gewünschten Kräuter mit giftigen Zwillingen verwechseln?
Es ist Vorsicht geboten. Bei uns wachsen auch Giftpflanzen, die essbaren Pflanzen ähneln. Bärlauch (essbar) kann zum Beispiel mit Maiglöckchen oder der Herbstzeitlose (beide giftig) verwechselt werden. Man muss wirklich genau hinsehen und sollte sich auskennen, damit man die richtige Pflanze mit nach Hause bringt. Wer sich noch nicht sicher fühlt, sollte deshalb immer ein Bestimmungsbuch dabeihaben. Es gibt sie in unterschiedlichen Formen mit Fotografien oder Zeichnungen. Ich bevorzuge Zeichnungen, weil man die Eigenheiten der Pflanzen darauf meist besser erkennen kann. Bei Kräuterführungen oder speziellen Kräuterseminaren kann man sein Wissen nach und nach ausbauen. Wer jedes Jahr zwei oder drei Pflanzen kennen lernt und sich mit ihnen vertraut macht, der hat schon viel erreicht.
Vielen Dank für die tollen Tipps!
Inas Sammeltipps für Kräuterneulinge als Checkkliste
Gute Sammelorte
im eigenen Garten
in Wäldern
an Feld- und Spazierwegen
auf brachliegenden Grundstücken
Schlechte Sammelorte
wo sich Hunde erleichtern
auf oder in der Nähe von Industriegebieten
an stark befahrenden Straßen
gedüngte Wiesen
Viehweiden und Wildtiertrampelpfade
Sammelsaison
In der Regel ab Mitte März, je nach Härte und Dauer des Winters auch früher.
Manche Kräuter schmecken nur "jung", werden später hart und faserig.
Regeln zum Sammeln
Keine geschützten Pflanzen sammeln.
Nur Handstrauß-große Mengen und zum Privatgebrauch sammeln.
Nur so viel sammeln, wie du auch verarbeiten kannst. Wenn du nur die Blüten brauchst, auch nur die Blüten sammeln, den Stängel stehen lassen.
Keine Kräuter mitsamt Wurzel ausreißen.
Werkzeug
Manche Pflanzen lassen sich mit der Hand pflücken.
Für festere empfiehlt sich ein Keramikmesser.
Luftdurchlässiger Behälter aus Naturmaterialien (Korb, Jutetasche).
Bestimmungsbücher, um Verwechslungen zu vermeiden.
Verarbeitung und Lagerung
Nur gesunde Pflanzen sammeln.
Direkt beim Sammeln sortieren.
Vor der Verarbeitung waschen.
Kühl und dunkel gelagert halten frische Kräuter ein paar Tage.
Getrocknete Kräuter spätestens nach einem Jahr aufbrauchen.
Kräuter trocknen
Pflanzen säubern und schlechte aussortieren.
Verschiedene Sorten getrennt trocknen.
Trocknen in luftdurchlässigen Gefäßen (Korb).
Körbe nicht zu voll machen (Schimmelgefahr).
Körbe beschriften.
Vor Licht schützen (Tuch).
Kräuter alle paar Tage von Hand wenden.
Wenn sie fertig sind, rascheln sie bei Berührung.
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Titelbild: Jörg Tenhündfeld